Am Tag drei nach der dramatischen Explosion im Hafen von Beirut wird die Katastrophe erst richtig deutlich: Im Umkreis von mehreren Kilometern ist alles zerstört und verwüstet, überall liegen Metallteile und Glassplitter und die Hafenanlagen, praktisch das Herz der libanesischen Hauptstadt, über die mehr als 80 Prozent aller Verbrauchsgüter des Landes ankommen, sind eine einzige Ruine. Gleichzeitig haben die Aufräum- und Bergungsarbeiten begonnen und Hilfsorganisationen versuchen den akuten Hilfsbedarf zu ermitteln. Das Libanesische Rote Kreuz hatte sich gleich am Morgen nach der Katastrophe mit der Bitte um Unterstützung an arche noVa gewandt, die sie als verlässlichen Kooperationspartner in Krisensituationen kennen. Momentan fehle es vor Ort hauptsächlich an medizinischer Ausrüstung, aber auch an Medikamenten, Blutkonserven und Schutzausrüstung für das medizinische Personal. Die Krankenhäuser in Beirut seien schon vor der Katastrophe am Dienstag überlastet gewesen, nicht wenige seien jetzt durch die Wucht der Detonation zerstört, was die Situation noch verschlimmere, erklärt arche noVa-Mitarbeiterin Muriel Schockenhoff.
Die Freiburgerin lebt seit zwei Jahren im Libanon und ist dort als Projektreferentin tätig. Am Dienstag reiste sie von ihrem Sommerurlaub in Deutschland und damit verbundenem Arbeitsbesuch in unserem Hauptquartier in Dresden zurück nach Beirut. Ihre beiden libanesischen Kollegen holten sie am späten Nachmittag am Flughafen ab, um gemeinsam nach Tripoli zu fahren. Die zweitgrößte Stadt des Libanon liegt eine gute Stunde nördlich der Hauptstadt, hier befindet sich auch das arche noVa-Projektbüro.
„Als wir am Hafen vorbei fuhren, sahen wir schon mehrere Feuerwehrautos, kurz darauf standen wir im Stau und hörten die erste Explosion direkt hinter uns, kurz darauf knallte es zum zweiten Mal. Wir wussten überhaupt nicht, was los war. Wie durch ein Wunder hatte unser Auto nur eine Delle im Dach, während rundrum überall Scherben und Trümmer lagen. Erst als wir in Tripoli ankamen und ich die Bilder in den Nachrichten sah, begriff ich, was für ein Glück wir gehabt haben.“
Mit Hochdruck arbeiten die Kolleginnen und Kollegen des Libanon-Teams jetzt daran, die Lage zu sondieren und zu helfen, wo es am nötigsten ist.
„Man weiß eigentlich gar nicht, wo man anfangen soll und wo man aufhören kann, um zu erklären, wie die Situation im Libanon momentan aussieht“, sagt Muriel Schockenhoff. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie seien katastrophal, jetzt dieses Unglück in der Hauptstadt, die andauernden politischen Proteste – und das in einem Land, das seit Jahren am Limit ist. „Man muss sich vorstellen, die Menschen hier kämpfen ums Überleben“, betont Schockenhoff.
Schon wieder hätten sich die horrenden Lebensmittelpreise verteuert, es drohen Engpässe und damit Hunger und Not. Fast die Hälfe der Menschen im Libanon lebt unterhalb der Armutsgrenze, 35 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Selbst die eher wohlhabende Mittelschicht ist mittlerweile von Armut bedroht, da Jobs wegfallen, Geldreserven eingefroren sind und die Währung ständig an Wert verliert.
Dabei treffe die Not neben den libanesischen Familien auch ganz extrem die etwa 1,5 Millionen syrischen Geflüchteten, die im Libanon zum Teil schon fast zehn Jahre leben bzw. geduldet werden.
„Unser Fokus bleibt daher vor allem auf den dicht besiedelten Flüchtlingsgebieten im Norden des Libanon und in der Beeka-Ebene, wo die Hilfe jetzt nötiger ist denn je und wo wir seit mehreren Jahren gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen Unterstützung leistet“, betont Mathias Anderson, Geschäftsführer von arche noVa, die Strategie.
Seit 2015 ist arche noVa mit einem Schulprojekt, das u.a. von der Sächsischen Staatskanzlei finanziert wird, in der Beeka-Ebene, wo besonders viele Geflüchtete leben. Gemeinsam mit der libanesischen Partnerorganisation "Society for Social Support & Education" wird dort Unterricht für knapp 900 Flüchtlingskinder realisiert, indem Klassenräume renoviert, Schulmaterialien verteilt und Lehrkräfte bezahlt werden. Im Nordlibanon und der Region Akkar setzen wir seit 2018 ein WASH-Projekt gemeinsam mit der lokalen Organisation Tankamel Sawa um. Hier werden mit Geldern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie privaten Spenden kommunale Wasserversorgungssysteme saniert, sowie Toiletten, Waschbecken und Trinkwassertanks an Schulen erneuert.
In den vergangenen Monaten wurden in beiden Projekten mehr als 13.000 Hygienepakete verteilt mit Seife, Putz- und Desinfektionsmaterialien zur Eindämmung der Corona-Pandemie und zur Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung durch gezielte Hygienemaßnahmen und Informationen. Mehr Informationen dazu gibt es hier.
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