Seit sie sich erinnern kann, schleppte Stella Maris Mwende Wasserbehälter auf ihren schmalen Schultern. Fünf Kilometer zum Fluss Athi, fünf Kilometer zurück. „Wenn wir in unserem Dorf ankamen, waren wir oft so müde, dass wir nur noch kochen und essen konnten“, erzählt die 46-Jährige aus ihrer Kindheit in Kasengela. Wie alle Menschen in der zentralkenianischen Steppe hat sie mit Dürren zu kämpfen, die zunehmend schlimmer werden.
Wie Sanddämme das Leben von Stella Maris Mwende veränderten
„Wasser gab es in unserem Dorf nur in der Regenzeit. Danach mussten wir immer zum Fluss laufen – manchmal mehrmals am Tag“, erinnert sich Stella Maris Mwende. So sei es auch schon ihrer Mutter ergangen. Dabei war das Wasser, das sie mühsam auf ihrem Rücken herbeischaffte, stark verunreinigt. „Meine Eltern sind früh gestorben, weil sie sich mit Keimen aus dem Flusswasser infiziert hatten“, erzählt Stella Maris Mwende. Sie kann kaum glauben, dass das Leid, das aus der schlechten Versorgung entsprang, jetzt ein Ende hat.
Wasser als Weihnachtswunsch
In Kenia feiern die Menschen bei sommerlichen Temperaturen das Fest der Liebe
- Zumindest der Anfangsbuchstabe ist der gleiche. W wie Weihnachten und Wasikuku. In der Sprache der Kamba im südöstlichen Kenia bedeutet das so viel wie „großes Fest“ und gilt als die Mutter aller Feiertage. Obwohl bei durchschnittlich 28 Grad und acht Sonnenstunden am Tag die Stimmung etwas anders ist als hier in Deutschland, so ist der Sinn der Weihnacht doch der gleiche.
- „Wasikuku ist das Fest der Liebe und der Freude. Es ist die einzige Zeit im Jahr, wo die ganze Familie mit Kindern und Enkeln zusammen kommt“, erzählt Mary Syunthi aus Mwingi. Für die 54-jährige Bäuerin war das Weihnachtsfest im vergangenen Jahr ein ganz besonderes. „Ich durfte mein jüngstes Enkelkind zum ersten Mal in den Armen halten – ein atemberaubender Moment. Ich kann es kaum erwarten sie alle in diesem Jahr wiederzusehen.“
- Auch Marys Nachbarin Kamene Mwendwa freut sich auf die Feiertage. Mit den Vorbereitungen beginnt die Farmerin jedoch erst kurz vor dem eigentlichen Fest. Dann geht sie auf den Markt und kauft Reis, Öl, Weizenmehl, Gemüse und andere Leckereien, wie Limonade, die es an normalen Tagen nicht gibt.
- Das eigentliche Weihnachtsfest beginnt dann mit dem Gottesdienst in der Heiligen Nacht. „Mit Lobesliedern und Gebeten gedenken wir der Geburt Jesu und danken Gott für das wertvolle Geschenk. Am nächsten Morgen werden die Feierlichkeiten in der Kirche fortgesetzt, dann ziehen die Leute ihre neuen Kleider an, die sie extra für das Fest gekauft oder geschenkt bekommen haben und die Frauen flechten ihre Haare auf ganz besondere Art, extra für Wasikuku“, erzählt Kamene Mwendwa. Und natürlich gibt es Spielzeug für die Kinder und ein Festessen für die Familie. Es ist Tradition, dass die Frauen kochen, während die Männer das Fleisch grillen. Das klassische Festessen in Mwingi sind Mbuzi choma (gegrillte Ziegenrippchen) und Chapati (eine Art Fladenbrot). Trotz diverser Rituale gibt es in diesem Jahr auch eine Besonderheit – und zwar der Weg zum Wasser.
- „Unser Leben ist sehr viel leichter, seit wir einen Sanddamm in unserem Dorf haben. Wir müssen nicht mehr stundenlang laufen, um Wasser zu holen zum Kochen und Waschen“, sagt Kamene Mwendwa. „So können auch unsere Töchter und Enkelinnen mit uns feiern oder sich einfach mal ausruhen – besonders an Wasikuku. Dafür sind wir sehr dankbar.“ Was sich die Bäuerin zu Weihnachten wünscht? „Ich bete, dass wir alle gesund bleiben, und dass es in den nächsten Wochen genug regnet, damit sich ausreichend Wasser in unserem Brunnen am Sanddamm sammelt“, sagt Kamene Mwendwa.
- Das hofft auch Simon Mutui, der ebenso wie Kamene und Mary Mitglied in der örtlichen Selbsthilfegruppe Wendo wa Katuluni ist, die den Sanddamm in Mwingi mit Unterstützung von arche noVa und der Afrikanischen Sanddamm-Foundation (ASDF) gebaut hat. Für Simon Mutui, einen 62-jährigen Farmer und Familienvater ist es jetzt noch viel zu früh, an Wasikuku zu denken. Für ihn ist Ende Oktober erstmal Pflanzzeit. „Mir ist wichtig, die neue dürre-resistenten Samen in die Erde zu kriegen, die wir von unseren Partnerorganisationen bekommen haben, damit wir dann möglichst viel ernten können“, erklärt Simon Mutui. Wenn das Grün auf den neu angelegten Feldern sprießt, dann kann auch in Südost-Kenia Weihnachten kommen.
Hilfe zur Selbsthilfe
Dabei ist die zupackende Bäuerin selbst Teil dieser Veränderung. Mit anderen Dorfbewohnern und Dorfbewohnerinnen hat sie die Selbsthilfegruppe „Utonyi wa Kasengela“ gegründet. Ihr wichtigstes Ziel: Wasser dauerhaft verfügbar zu machen – nicht nur in den wenigen Wochen im Jahr, nicht nur in den wenigen Wochen im Jahr, in denen es oft sturzflutartig durch die Landschaft strömt und bisweilen mehr zerstört, als den Menschen nützt.
Mit arche noVa und der kenianischen Partnerorganisation Africa Sand Dam Foundation wird in Kasengela ein Sanddamm gebaut, der in dem meist ausgetrockneten Flussbett das Regenwasser auffängt. Das ganze Dorf war monatelang auf den Beinen, um Steine und Sand heranzuschaffen und beim Bau der Betonmauer mitzuarbeiten. Das war im März. Seitdem haben die Menschen um Stella Maris Mwende auch erfahren, wie sehr Wasser und Gesundheit zusammenhängen und wie man das Wasser langfristig nutzt.
Wasser für Mensch und Natur
In Workshops haben sie etwas über Aufforstung und nachhaltige Landwirtschaft gelernt. Solange sie lebt, kann sich Stella Maris Mwende nicht erinnern, dass in ihrer Region jemals Gemüse gewachsen wäre. Dafür musste man entweder zum Markt in Kalawa oder Ikalaasa und teuer dafür bezahlen. „Oder wir haben den Gemüselaster vorbeifahren hören und sind schnell hinterhergerannt, um etwas abzubekommen“, erinnert sie sich.
Jetzt gibt es Spinat, Grünkohl, Kuhbohnen und vieles mehr. Stella Maris Mwende freut sich: „Das letzte Jahr war definitiv das beste für mich und mein Dorf. Wir haben viel gelernt und können mit unserer Arbeit als Bäuerinnen deutlich mehr verdienen als früher. Und das Beste: Wir haben sauberes Wasser praktisch vor der Haustür.“