Der Kontakt nach Sanaa entstand über die Initiative von Noha al Eryani, einer engagierten humanitären Helferin, die im vergangenen Jahr im Rahmen eines Stipendiums für drei Monate in Deutschland war und damals Kontakt zu arche noVa fand. Mit großer Kraft versuchte sie persönlich, Unterstützung für die Menschen in ihrem Land zu finden, denn sie kennt die hungernden Kinder nicht nur von den Fotos in den Sozialen Medien.
„Ich habe mir gewünscht, dass die Hilfe nicht nur kurzfristig, z.B. in Form von Nahrungsmittelpaketen geschieht, sondern dass auch längerfristig Unterstützung gelingt. Eine der wichtigsten Zielgruppen sind dabei Frauen und Mädchen, die im Krieg oft besonders stark leiden und an denen gleichzeitig auch der Zusammenhalt oder das Überleben von Familien hängt.“
Deshalb schlug sie arche noVa vor, die Arbeit der Jemenitischen Frauenunion zu unterstützen, die seit Jahrzehnten Empowerment- und Bildungsprogramme realisieren.
Anfang Dezember nun fand in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, der erste von insgesamt vier Basaren statt. Neben silbernen Halsketten, bestickten Westen und Zierrat für den Haushalt gab es auch einen Basteltisch für Kinder und ein Theaterstück. Ziel des Marktes war tatsächlich, handgemachte, schöne Dinge an die Gäste zu bringen. Anlass der Veranstaltung war allerdings ein sehr viel ernsterer.
Die Jemenitische Frauenunion (YWU - Yemen Women Union) startete aus Anlass der UN-Kampagne gegen geschlechterspezifische Gewalt eine mehrwöchige Veranstaltungsreihe. Der Auftakt in Sanaa fiel mitten in die 16-Days-of-Activism, die die Vereinten Nationen jedes Jahr weltweit zwischen Ende November und Anfang Dezember organisieren. Weitere Basare sind in Aden, Ibb und Damar geplant.
arche noVa sowie das Spendenbündnis Aktion Deutschland Hilft unterstützen die Jemenitische Frauenunion bei diesem Projekt, um auf das Thema geschlechterspezifische Gewalt im Kontext von Krieg und Krise aufmerksam zu machen.
Die Krise im Jemen gilt als die größte humanitäre Katastrophe weltweit. Jeden Tag sehen wir in den Medien vom Hunger gezeichnete Kindergesichter, traurige Augen aus denen Angst und Not sprechen. Was wir nicht sehen, ist Gewalt in Familien, Gewalt gegen Frauen, die mit Ausbruch des Krieges 2015 geradezu „explodiert“ ist, so formuliert es die YWU. Delikte wie physische und psychische Gewalt, Vergewaltigungen und Zwangsheirat hätten in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 70 Prozent zugenommen. Und das in einem Land wie Jemen, das schon vor Ausbruch des Krieges eines der schlechtesten Schutzsysteme für Frauen und Mädchen weltweit hatte.
Von den derzeit drei Millionen im eigenen Land Vertriebenen sind etwa zwei Drittel Frauen und Kinder, denen oft das Nötigste zum Leben fehlt. Laut einer von der YWU zitierten Studie sind mehr als fünf Millionen Menschen vom Krieg traumatisiert, mehr als 82 Prozent davon Frauen.
Hier zu helfen, die größte Not zu lindern und Perspektiven zum Leben aufzuzeigen, dieses Ziel verfolgt die Jemenitische Frauenunion seit knapp 30 Jahren. Die lokale NGO kämpft für Frauenrechte, berät in juristischen Angelegenheiten und setzt sich für Gewaltfreiheit ein. Außerdem betreibt sie 14 Schutzhäuser in zehn Regionen des Landes sowie sechs Frauenhäuser in größeren Städten. Hier gibt es neben Therapien, Lebens- und Berufsberatung auch Gesundheitsvorsorge, Handarbeitskurse, Alphabetisierung und Englischunterricht. Ziel ist es, den Frauen – die nicht selten von ihren Familien verstoßen wurden oder aus Angst vor Rache oder Gewalt geflohen sind – die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu geben. Dazu gehört auch wirtschaftliche Unabhängigkeit oder zumindest die Chance, etwas hinzuzuverdienen.
Das ist auch die Idee des Basar-Projektes. In Zeiten von Krieg, Zerstörung und Not wollen die Frauen einerseits zeigen, was sie an schönen Dingen herstellen, die allein aufgrund ihrer Ästhetik für eine freundliche Atmosphäre sorgen. Andererseits soll das Projekt auch Barrieren abbauen, die die Frauen vom Rest der Bevölkerung trennen. Alle sollen sehen, dass in den Frauenhäusern nicht nur schutzbedürftige, traumatisierte Menschen wohnen, sondern dass diese oft stigmatisierten Frauen und Mütter sehr wohl in der Lage sind, etwas zu leisten. Auf den Basaren sind sie Künstlerinnen, Handwerkerinnen, Verkäuferinnen, Bäckerinnen, Unternehmerinnen. Auf jeden Fall nicht Opfer.
Darüber hinaus öffnen die Schutzhäuser ihre Beratungs- und Trainingsangebote auch für Frauen aus den jeweiligen Städten. Es gibt psychologische Beratung, Informationen zu Frauenrechten, beruflicher Bildung und Entwicklung.
In einem Theaterstück oder mit einem speziellen Lied ergreifen auch andere Partei für traumatisierte Frauen und Mädchen – nämlich Jungs und Männer. Denn das Thema geschlechterspezifische Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches, das sich nur im Ganzen lösen lässt. Die Basare sind ein stimmungsvoller Anlass, um für dieses kritische Thema zu sensibilisieren und Bewusstsein herzustellen, dass man helfen kann.